26 Nisan 2011 Salı

ŞENER ÖZMEN@STUTTGARTER ZEITUNG

Die Verhältnisse zum Tanzen bringen
Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 23.04.2011

Ausstellung Das Stuttgarter Künstlerhaus zeigt Werke von Nevin Aladag und Sener Özmen. Von Dietrich Heißenbüttel
Stürzt sich da einer zum Fenster raus? Nein, es ist nur ein Anzug, der kopfüber aus der vierten Etage des Stuttgarter Künstlerhauses hängt, das jetzt eine Ausstellung mit Werken zweier türkischer Künstler zeigt.

Oben im Künstlerhaus angekommen, blickt der Betrachter dann zunächst in einen Rückspiegel: "Can we live together like a melody" steht darauf geschrieben - eine Liedzeile. Musik, öffentlicher Raum und die sozialen Beziehungen: in diesem Kräftefeld bringt Nevin Aladag die Verhältnisse durcheinander. Sie lässt Spielzeug-Straßenkreuzer tanzen, hängt eine ramponierte Discokugel über eine Gitarre oder fotografiert ein Schlagzeug im Schneeregen. Für das Video "Hochparterre" hat sie Bewohner der Naunynstraße in Kreuzberg befragt. Deren Antworten mimt aber immer ein- und dieselbe Schauspielerin, auch wenn die Stimme in Realität einem schnoddrigen Berliner Bass gehört. In "City Language" lässt die in Stuttgart aufgewachsene Künstlerin die Stadt Istanbul selbst auf Instrumenten spielen: Tauben picken auf einer Baglama herum, ein Tamburin fährt Wasserski, Klanghölzer poltern eine Treppe hinunter, eine Flöte, aus dem Autofenster gehalten, macht von allein Musik.

Die Zurna taucht auch bei Sener Özmen, dem zweiten Künstler der Schau, wieder auf: In einem von vier Videos mit enigmatischen Schlüsselszenen aus dem Leben des kurdischen Künstlers, die er mit Cengiz Tekin gedreht hat, laufen zwei Musiker über ein Feld. In einem anderen tritt ein älterer Mann auf eine Terrasse in Diyarbakir und applaudiert - im Ernst oder voll Ironie? - der Stadt. Einen zuweilen grimmigen Humor beweist Özmen durchaus, wenn er sich selbst als Supermuslim darstellt, der sein rotes Mäntelchen als Gebetsteppich auslegt. Oder wenn er vier Männer beim Fahnenappell zeigt, die vor lauter Hochstarren eine Halsstütze tragen müssen. Aber er übt auch bittere Kritik in einer Arbeit im Zentrum des Saals, der man sich schon akustisch nicht entziehen kann: Zwei Mädchen singen eine kurdische Volksweise, gestört von der türkischen Nationalhymne. Zusehends verunstalten blaue Flecken und blutige Nasen die Kindergesichter.

Özmen lebt in der überwiegend kurdischen Stadt Diyarbakir, er weiß, wovon er spricht. Als Künstler hat er es dort doppelt schwer. Özmen ist auch Autor - einige Exemplare seiner Bücher liegen in einer Vitrine bereit, darunter ein interessantes Ausmalbuch. Ein anderes Werk hat das Künstlerhaus anlässlich seiner ersten Einzelausstellung in Deutschland neu aufgelegt. Es handelt von einem gewissen Abdülbaki, der die britische Skandalkünstlerin Tracey Emin entführen will. Özmen schreibt auch auf Kurdisch und übersetzt hin und her - in der Türkei ein Politikum, für den Künstler ein Weg, sich mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen. Einen hochfliegenden Entwicklungsplan für Südostanatolien ironisiert er mit einem Spruch des Philosophen Heraklit, der gesagt hat: "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen" - und auf Özmens Foto steht ein Mann in den Fluten des Tigris, dahinter am Ufer ein Römer.

Auch für Nevin Aladag wäre die Zuschreibung als "türkische Künstlerin" viel zu einfach, wie die Künstlerin selbst deutlich macht, indem sie Orientteppich-Muster zu einem Baseballfeld zusammensetzt.

Bis zum 29. Mai im Stuttgarter Künstlerhaus

in der Reuchlinstraße. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag von 15 bis 19 Uhr.

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